Swiss Foreign Policy, 1964–1966

Sep 12, 2011

In den repräsentativen Räumlichkeiten seiner Residenz in Moskau unterhielt sich der schweizerische Botschafter, August R. Lindt, im Dezember 1966 mit seinem nordkoreanischen Amtskollegen. «Ich empfing heute Botschafter Kim Ben Dik», schrieb Lindt nach Bern: «Er betrachtete sinnend das Glas Kirsch, das ich ihm kredenzt hatte, und sagte: ‹Dieses Getränk ist eben so rein und kristallklar wie die schweizerische Politik›» (Dok. 184, dodis.ch/31369).

«Heuchlerische Haltung der Schweiz»
Das Ansehen der Schweiz in der Welt war Mitte der 1960er Jahre nicht überall so schmeichelhaft wie im Urteil des nordkoreanischen Botschafters. So beklagte sich ein Mitarbeiter des Eidg. Politischen Departements, des heutigen EDA, anlässlich eines Ausbildungsprogramms für Diplomaten aus Entwicklungsländern in Genf 1965 über wachsende Ressentiments gegenüber der schweizerischen Neutralitätspolitik: «Die Bemerkungen der Kursteilnehmer waren, kurz zusammengefasst, ein Sammelsurium einer hämischen Kritik an der heuchlerischen Haltung der Schweiz zu den aussenpolitischen Problemen unserer Zeit» (Dok. 104, dodis.ch/31614).

Differenzierter Blick
Der neueste Band der Aktenedition Diplomatische Dokumente der Schweiz (DDS) zeigt, dass in der schweizerischen Aussenpolitik zwischen 1964 und 1966 tatsächlich nicht alles so kristallklar war, und wirft einen differenzierten Blick auf die Art und Weise, wie sich das Land den aussenpolitischen Herausforderungen stellte. Die Forschungsergebnisse ermöglichen erhellende Einblicke und Erkenntnisse zu den Aussenbeziehungen der Schweiz in diesem bewegten Zeitraum.

Telegramme, Zirkulare, Korrespondenzen …
Die Zusammenstellung enthält Telegramme, Zirkulare, Briefe und andere Korrespondenzen zwischen den diplomatischen Vertretungen der Schweiz und der Zentrale in Bern, Protokolle der Sitzungen des Bundesrates, Aktennotizen und Arbeitspapiere von Spitzenbeamten des Politischen Departements und anderer Departemente, Aufzeichnungen strategischer Sitzungen und Besprechungen sowie weiteres Dokumentationsmaterial. Die fast 200 abgedruckten und mit einem wissenschaftlichen Apparat versehen Aktenstücke aus dem Schweizerischen Bundesarchiv werden durch rund 900 zusätzliche Dokumente ergänzt, die auf der Online-Datenbank Dodis frei zur Verfügung stehen.

Breite Themenpalette
Band 23 der Diplomatischen Dokumente der Schweiz entfaltet eine breite Palette an Themen schweizerischer und internationaler Politik. In der zitierten Kritik der jungen afrikanischen Diplomaten stand vor allem die Haltung der Schweiz gegenüber den rassistischen Regimes in Rhodesien (Dok. 120, dodis.ch/31085) und Südafrika (Dok. 7, dodis.ch/31045, Dok. 84, dodis.ch/31040 und Dok. 156, dodis.ch/31047), gegen die die UNO Wirtschaftssanktionen bzw. ein Waffenexportverbot erlassen hatte. Doch auch in der westlichen Welt musste die Schweiz um ihren guten Ruf bangen. Aus London wusste der schweizerische Botschafter zu berichten, die Eidgenossenschaft sei «in manchen Kreisen des Publikums nicht gut angeschrieben»: Besonders die Rolle der Banquiers – als «Gnoms of Zurich» verschrien – würde negativ hervorgehoben (Dok. 56, dodis.ch/31416).

Déjà vu bei Migrationspolitik, Steuerfragen …
Einige der Themen, die 1964–1966 für die schweizerische Aussenpolitik relevant waren, sind bis heute von ungebrochener Aktualität. So stand schon damals die Migrationspolitik, vor allem in Bezug auf die italienischen Arbeitskräfte im Land in Zentrum, über die auch unter dem Schlagwort der «Überfremdung» Debatten geführt wurden (Dok. 37, dodis.ch/30798, Dok. 48, dodis.ch/30799, Dok. 53, dodis.ch/30796 und Dok. 54, dodis.ch/30797). Auch beschwerte sich Deutschland schon 1966 über die Steuerflucht seiner Bürger in die «Steueroase Schweiz» (Dok. 177, dodis.ch/31445). Entsprechend gewichtig waren die Verhandlungen um den Abschluss von Abkommen zur Verhinderung der Doppelbesteuerung mit verschiedenen Staaten (Dok. 92, dodis.ch/31443), auch mit einem «innenpolitisch instabilen» Italien (Dok. 44, dodis.ch/31063).

… und Währungshilfe
Bereits 1966 galt es zudem, einer bedrängten europäischen Währung zu Hilfe zu kommen: Damals befanden sich die britische Wirtschaft und das Pfund in einer schweren Krise, und es galt, wie das Eidgenössische Finanzdepartement urteilte, «im Interesse der Erhaltung eines stabilen westlichen Währungssystems […] und damit auch in unserem eigenen Interesse» mit Millionenkrediten der Nationalbank einzugreifen (Dok. 128, dodis.ch/31415).

Einbindung in internationale Systeme
Die Dokumente zeigen auch die fortschreitende Einbindung der Schweiz in internationale Systeme, wie etwa durch den Beitritt zum Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen GATT im Jahr 1966 (Dok. 129, dodis.ch/31815). Entscheidend war diese Zeitperiode auch für das Weiterbestehen der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA. Für das Gründungsmitglied Schweiz stellte sich zunehmend die Frage, wie die Beziehungen zwischen der EFTA und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG auszugestalten seien (Dok. 172, dodis.ch/31640). Dabei kam es vor allem mit dem britischen EFTA-Partner oft zu Konflikten, die sich auch in harten Wortwechseln niederschlagen konnten (Dok. 65, dodis.ch/31417). Die Entspannungspolitik zwischen West und Ost motivierte schweizerische Wirtschaftskreise zu vermehrtem Interesse für die osteuropäischen Märkte, das sich beispielsweise in einer schweizerischen Industrieausstellung in Moskau (Dok. 151, dodis.ch/31032) manifestierte.

Vietnamkrieg und Kulturrevolution
Daneben werden in den Aktenstücken auch weltpolitische Umbrüche und Ereignisse wie der Ausbruch der Kulturrevolution in China (Dok. 167, dodis.ch/30917) oder der Vietnamkrieg (Dok. 161, dodis.ch/30976) reflektiert. Gerade angesichts globaler Konflikte spielen auch traditionelle Felder schweizerischer Diplomatie wie die Vertretung fremder Interessen (Dok. 101, dodis.ch/31456 und Dok. 107, dodis.ch/30981), so z. B. diejenigen der USA in Kuba (Dok. 146, dodis.ch/30985) oder die Rolle Genfs als Sitz internationaler Organisationen (Dok. 50, dodis.ch/31620), weiterhin eine massgebliche Rolle in dieser eigentlichen Übergangsphase schweizerischer Aussenpolitik.